Bericht im "Leben am See 2008"

von Michael Stoll


 

 

Mit dem folgenden Text möchte Ich das Projekt Suso-Haus Überlingen in seinem gegenwärtigen Stadium zusammenfassend darstellen.

Nach kurzem geschichtlichem Umriss, welcher die Gestalt Heinrich Seuse und dessen Gedenkort in Überlingen erfasst, werde ich die

aktuelle Situation in und mit dem Suso-Haus Überlingen beschreiben.

 

 

I.

 

Heinrich Seuse , in latinisierter Form Suso genannt, gilt als einer der großen und herausragenden Gestalten der deutschen Mystik und wird neben seinem Lehrer Meister Eckhart und ebenfalls dominikanischen Predigerbruders Johannes Tauler als einer des Dreigestirns deutscher Mystik genannt.

Geboren ist Heinrich Seuse um das Jahr 1295 in Konstanz oder Überlingen; trat schon im Alter von dreizehn Jahren in das Dominikanerkonvent von Konstanz ein. Über sein Leben wissen wir Einiges, nehmen wir die von ihm autorisierte geistliche Autobiographie, welche als die erste in deutscher Sprache gilt, als Zeugnis.

 

Mit 18 Jahren eröffnete sich für Heinrich Seuse das erste Mal die Gewissheit eines anderen, eines gehobenen Lebens, welches in einem scharfen Kontrast des bisher gewohnten klösterlichen Alltags steht.

 

Er erlebt so die erste Kehre, Wende; - wendet sein Leben und beginnt eine, innerhalb der damaligen Tradition stehende streng asketischer Praxis, der Nachfolge des leidenden Jesus Christus, einer imitatio Christi. Über ein sich selbst Zufügen von körperlichem Schmerz glaubte er sich seinem höchsten Ideal nähern und schließlich verbinden zu können. Doch dass dies ein bloßer Anfang, und letztlich auch Irrweg ist, muss Seuse erkennen - einer Sackgasse, der er bis zur Grenze der Selbstzerstörung folgt.

 

Aber auch hier ist es wieder eine Vision, ein starkes inneres Berührtwerden, welches Seuse im Alter von etwa 40 Jahren erkennen lässt, dass nicht das bloße eigene Bemühen, der eigene Willen ihn auf seinem Weg voranschreiten lässt, sondern dass die Öffnung, das Geschehenlassen und Gezogenwerden von all-dem-was-ist für ihn wesentlich und allein weiterführend wird, - dass er sich dem ganzen Leben zu öffnen hat.

Heinrich Seuse wirft aus dieser Erkenntnis heraus seine Marterwerkzeuge in den Rhein.

 

Die Vita, Autobiographie der von ihm selbst zusammengefasst und redaktionell bearbeiteten Schriften Heinrich Seuses, kann als Wegstruktur des Menschen auf seiner Suche nach dem Absoluten gelesen werden. Mit der Komposition dieser Autobiographie entwirft Seuse gleichsam ein pädagogisches Programm, welches mit dem Büchlein der ewigen Weisheit, dem Büchlein der Wahrheit und dem Briefbüchlein seine erläuternde Ergänzung erfährt.

 

Wir sehen hier einen um das Absolute, der großen FRAGE ringenden Menschen, der als spätmittelalterlicher Mönch im Bodenseeraum ganz in seiner Zeit steht, aber blicken wir tiefer durch die Färbung der Zeitlichkeit, erfahren wir die Quelle, Essenz, - sein Wesen als Träger überzeitlicher Botschaft.

 

Heinrich Seuse, der Mystiker und Dichter seiner Zeit ist Christ, Katholik, Mann der Kirche - eröffnet aber über die Einsichten seiner geistigen Erfahrung Perspektiven, die das Mystische, - das Freie und von göttlicher Kindschaft Bewegte eines jeden Menschen ansprechen.

 

II.

 

Das Suso-Haus Überlingen in der Suso-Gasse 10 erhielt seine Widmung als Gedenkstätte Heinrich Seuses Anfang des letzten Jahrhunderts. Erbaut in seinen ältesten Teilen um das Geburtsjahr Heinrich Seuses gilt es nach einer so genannten Lokaltradition als das Geburtshaus des Mystikers. Als gesichert kann gelten, dass die Mutter Heinrich Seuses als eine geborene von Süs mit ihrer Familie in Überlingen lebte.

Als in der Zeit der Romantik das Interesse an Leben und Kultur des Mittelalters erstarkte, begann man auch das Interesse an Heinrich Seuse als einen in deutscher Sprache schreibenden geistlichen Autoren und Herzensmystiker neu zu entdecken und sein Andenken im stärkeren Maße zu pflegen.

Ein Bürger stiftete schließlich zum Gedenken des Mystikers und Dichters ein Haus in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer mit der Auflage, zwei öffentlich zugängliche Gedenkräume einzurichten.

Im Archiv der Stadt Überlingen befindet sich die ersten Hausbücher und geben Auskunft wer in den ersten Jahren der Gedenkstätte das Haus aufsuchte; so finden sich  Einträge von geistigen Persönlichkeiten wie Martin Buber, Fritz Mauthner oder später Martin Heidegger.

Ab dem Jahr 1997 stand das Haus jedoch leer und verwaist. 2006 kam das Suso-Haus auf die Tagesordnung des Gemeinderates der Stadt Überlingen. Ein Vorstoß von Seiten der Verwaltung das Haus zu verkaufen führte zu Protesten und der Suche nach einer möglichen Lösung, das Haus als Gedenkort und Kleinod mittelalterlicher Architektur zu erhalten.

 

III.

 

Dies führte zum Zusammenschluss der Initiativen von fr. Jakobus Kaffanke OSB und Michael Stoll. Sie entwickelten ein überzeugendes Konzept, welches einstimmig vom Gemeinderat und großen Teilen der Bevölkerung getragen wird und zur Bildung und Übertragung des Hauses an den „Verein des Gedenkens an den Mystiker und Dichter vom Bodensee Heinrich Seuse e.V." im Rahmen eines Erbpachtvertrages führte.

 

IV.

 

Zur Aufgabe des Vereins gehört, gemäß der gemeinsam konzipierten Satzung die Renovation in der Suso-Gasse 10, die Pflege des Gedenkens an Heinrich Seuse und das Haus als einen Ort schöpferischer Arbeit zu öffnen.

 

Abschließend nun einige Streiflichter gegenwärtigen Geschehens:

 

2009 wird das Haus einer umfassenden Renovation unterzogen; Neben der die Bausubstanz erhaltende Renovation steht eine stimmige Neugestaltung gemäß der ideellen Bestimmung des Hauses im Vordergrund.

Die im Keller des Hauses befindliche Sickerquelle sehen wir als Anlass, den Begriff Quelle als Topos der Mystik, des Ursprungs und Neuwerdens wirken und in die Konzeption einfließen zu lassen. Gegenwärtig sind wir mit dem Bildhauer und Vorstand Cornelius Hackenbracht und dem Architekten Bruno Siegelin bei der Entwicklung eines Konzeptes zur konkreten Ausgestaltung dieser Idee, die gemäß der Weglehre des Heinrich Seuse sich auf allen vier Etagen in anderer Form zeigen wird.

 

Wesentlich ist in diesen Jahren im Sinne der Re-novation der Ideen das Lesen, Meditieren und erläuternde Übersetzen der Schriften Heinrich Seuses. Dies geschieht über Bildmeditiationen, Meditative Gesprächskreise und szenische Lesungen zu Texten von Heinrich Seuse wie im April 2007 oder im Form eines zeitgenössischen Theaterstückes, wie MIRAS TIRADE  Anfang Mai 2008 im Kapuziner Überlingen.

 

Im Rahmen von Wochenendkursen und Abendveranstaltungen beschäftigen wir uns mit zentralen Begriffen der deutschen Mystik wie „Gelassenheit", sowie der Bilder-Sprache Heinrich Seuses, - der Vermittlung des Unsagbaren über das metaphorische Spiel mit dem Wort.

 

Ein halbjährlich herausgegebenes Programm informiert über die laufende Kulturarbeit und kann über das Haus und unsere Internet-Präsenz bezogen werden (www.susohaus.de).

 

Das Schreiben, die Arbeit am Wort bildet einen Schwerpunkt der Tätigkeit im Suso-Haus. Angeboten werden Kurse im biographischen und literarischen Schreiben.

 

Das Deutsche Literaturarchiv Marbach unterstützt die Arbeit des Suso-Haus, so dass wir u.a. im Juni 2008 Prof. Dr. Dr. Wiercinski zu einem Vortrag über das `Dichtersein und Wege des Verstehens` einladen können.

 

Regelmäßig können Bildungseinrichtungen mit Gruppen das Suso-Haus in Zukunft besuchen, um als Lernort außerhalb der üblichen Institutionen in die Erfahrung der dem Suso-Haus nahe stehenden Inhalten zu gelangen. Wir beginnen eine Zusammenarbeit mit den Schulen, denen im Rahmen des neuen Bildungsplans 2004 in Baden-Württemberg wesentlich mehr Gestaltungsraum gelassen wird. Wir kümmern uns um die Entwicklung und Anschaffung von entsprechendem Unterrichtsmaterial und Medien und werden ebenfalls von Marbach in diesem Bereich gefördert.

 

Für die Ausstattung des Ausstellungsbereiches entsteht von der Film-Künstlerin Ruth Nagel eine Dokumentation zum Leben und Wirken Heinrich Seuses, die für Besucher des Hauses einen informellen, aber auch tiefer erlebbaren Zugang zur Mystik Heinrich Seuse ermöglicht.

 

Unter der Schriftleitung von Prof. Dr. Dr. Markus Enders der theologischen Fakultät der Universität Freiburg, wird ab 2008  ein Jahrbuch im Lit. - Verlag zu gegenwärtigen Seuse-Forschung erscheinen, dessen Herausgeber der Verein ist und seine überregionale Ausrichtung akzentuiert.

 

2010 planen wir mit unserer Schirmherrin, der Bundesministerin Frau Dr. Annette Schavan die offizielle Eröffnung des Hauses. Konstanz als zentralen Ort des Wirkens Heinrich Seuses, sowie Ulm als seinen Sterbeort konnten wir als Partner unserer Kulturarbeit gewinnen. 2009 wird in Konstanz die erste Seuse-Tagung stattfinden.

Dies Alles ist und wird nur möglich, wenn auch weiterhin die verschiedenen Kräfte sich finden und zusammenarbeiten, dass kein starrer, einseitig bestimmter Ort seine Prägung erhält, sondern die im Sinn von Heinrich Seuse empfundene Widmung Wirklichkeit wird:

 

"Geht aber

der helle Morgenstern auf

mitten in meiner Seele, so ist alles Leid verschwunden,

alle Finsternis gelichtet, der Himmel wird

hell und heiter, und

mein Herz

lacht."

 

aus: Heinrich Seuse, Büchlein der ewigen Weisheit

 

Michael Stoll, den 6. März 2008